Feuerfeder – Wut

Veröffentlicht am

von Ronja, Jg. 13

Für Leseratten gibt es an dieser Stelle schöne Literatur von Schülern für Schüler. Ronja präsentiert mit „Wut“ ein weiteres Kapitel aus ihrem fantastischen Roman „Feuerfeder“. (In der Ausgabe 2020 bzw. unter „Kreatives Lesen“ gibt es auch das Kapitel „Das Schloss aus Glas“.)

Es dauerte nicht lange und ich war zu einem Eisblock erfroren. Doch die tobende Wut in mir ließ mich nicht zur Vernunft kommen. Ich trat in die Schneewehen und wirbelte Flocken auf, die mir mit dem eisigen Wind in Gesicht flogen. Wutentbrannt schrie ich in den Sturm und hob Eisbrocken auf, die ich die steilen Abhänge am Rand des Kampfplatzes hinunter warf.
„Was verdammt willst du von uns? Was willst du von mir? Komm schon! Hör auf dich in deinen dämlichen Wolken zu verstecken und gib mir eine Antwort, du widerwertiger Drecksack!“ brüllte ich und schmiss weiterhin Dinge nach einem imaginären Feind. Ich wusste, dass mein rücksichtsloses Verhalten mich noch umbringen würde und es machte keinen Sinn, ihn lauthals zu beschimpfen. Er machte sich nur über mich lustig, wie ich blindlinks mein Leben wegwarf. Denn ich konnte meinen Körper kaum noch bewegen, geschweige denn spüren. Alles war taub und kalt, meine Lippen und Hände blau, die eisige Luft brannte in meinen Wunden. Mein Atem rasselte und ich musste erneut keuchend husten, da die Kälte mir die Lunge verätzte.

„Komm schon…“ keuchend fiel ich auf die Knie und stützte mich auf meine Hände. Alles tat so weh und meinen Körper schüttelten schwere Schluchzer. Heiße Tränen rannen über meine Wangen. „Warum nimmst du uns alles? Was für ein grausames Wesen bist du?“
Als Antwort warf mich eine starke Windböe von den Beinen und ich schlitterte unkontrolliert über den vereisten Platz. Der Schnee tanzte wie wilde Schneegeister um mich herum und ich glaubte ein hämisches Lachen im Pfeifen des tobenden Sturms zu hören. Keuchend schnappte ich nach Luft. Es fühlte sich an, als würde sich eine dünne Eisschicht über meine Lunge und den Hals ziehen, die mir das Atmen verhinderte. Verzweifelt fasste ich mir mit meinen tauben Händen an den Hals, doch ich spürte schon nichts mehr. Mein Atem rasselte scharf und ich kroch über den Boden. Meine Zähne schlugen hart aufeinander und erneut erfasste mich ein starker Windstrom und schleuderte mich auf den Rand der Plattform zu. „…Hör…auf…“ wisperte ich kaum hörbar, meine Stimme war schon eingefroren.

Von irgendwo hörte ich eine Stimme meinen Namen rufen. Schneeflocken stoben umher, deckten meinen halberfrorenen Körper langsam zu. Ich wusste nicht mal mehr, ob ich noch atmete. Verkrampft kauerte ich am Rand der großen Plattform, die mithilfe von Stützbalken und riesigen Kristalliten auf dem brüchigen Fels befestigt wurde und als Trainings- und Kampfplatz genutzt wurde. Meine Augenlider flatterten und ich blinzelte über den schmalen Rand, auf dem sich Eisblumen kringelten. Es ging einige Meter in die Tiefe, wo unten die monströsen Wellen gegen die scharfen Felskanten schlugen. Nebel waberte über dem Abgrund und mischte sich mit dem wilden Schneesturm.
Etwas packte mich fast schon sanft und zog mich dicht an den Abgrund heran. Dürre eisige Klauen bohrten sich durch den dünnen Stoff meines Hemdes und hinterließen blaue Spuren auf meiner todesbleichen Haut. Ein leises Wispern drang an mein Ohr, dass ich nicht ganz verstand.

lass dich gleiten…lass dich fallen…wir fangen dich auf…in unseren Armen wird es nicht mehr kalt sein…du wirst nicht mehr schreien…verweile nicht länger hier, wo eisige Klauen dich in dein Verderben reißen…
Dem Singsang folgte ein leises Kichern und der Ruck an meinem steifen Körper wurde stärker. Mein rechter Arm hing schon in der Luft und dann schob sich auch mein Oberkörper über den Rand. Mit glasigen Augen starrte ich in die Tiefe.
lass dich gleiten…lass dich fallen…wir fangen dich auf…
Ich wusste nicht, ob ich überhaupt noch ganz bei Bewusstsein war. In meinem Kopf herrschte gähnende Leere, eine dicke klare Eisschicht zog sich darüber.
lass dich gleiten…lass dich fallen…die Dunkelheit fängt dich auf…

Etwas in ihrem Singsang ließ mich scharf einatmen, dass es wehtat. Ich versuchte meine Augen aufzureißen, an deren Wimpern schwere Eisklumpen hingen. Ich hustete, die Eisschicht in meinen Lungen bröckelte und mit zitternden Gliedern versuchte ich mich aufzurichten. Ich rückte von dem Rand ab und war plötzlich wieder hellwach. Nein, ich wollte nicht sterben. Ich würde jetzt nicht sterben!
„Nein…“ keuchte ich, als ich die kalten Augen zwischen den weißen Schneeflocken sah, die sich durch meine Seele bohrten. „Ich…ich werde nicht sterben!“
Die Schneegeister fletschten die Zähne und zorniger Wind pfiff mir um die Ohren. Sie ballten ihre losen Körper zusammen und kamen drohend auf mich zu. Ich stolperte rückwärts, nicht fähig aufzustehen. Keuchend kroch ich über den eisigen Platz, zurück zu den Ställen, weg von diesen Todesboten.
lass dich gleiten…lass dich fallen…wir fangen dich auf…

Sie verfielen wieder in ihren betäubenden Singsang, doch ich versuchte es auszublenden. Ich versuchte immer wieder auf meine unsicheren Beine zu kommen, doch noch wollten sie mir nicht gehorchen. Bald schon spürte ich wieder ihre kalten Klauen auf meiner Haut. Die blaue pulsierende Kälte, die ihre Berührungen auf meinem Körper hinterließen, breitete sich aus und stach mir bis ins Mark. Ich schrie schmerzerfüllt auf und wurde von ihnen niedergedrückt. Mein Atem rasselte und der Sturm tobte. Ich lag wieder auf dem gefrorenen Boden, doch ich wollte mich nicht mehr diesen formlosen Geistern ergeben. Wut flammte in mir auf.

„Lasst mich endlich los!“ knurrte ich und versuchte mich von ihnen loszureißen, ohne auf die eisigen Schmerzen zu achten. Mit einem energischen Brüllen richtete ich mich auf, eine enorme Hitze durchfuhr meinen Körper und mit einem Mal wich all die Kälte von mir. Die Schneegeister schrien auf, als sie sich an mir verbrannten und stoben auseinander. Flammen züngelten zwischen all den tanzenden Schneeflocken und ich schnappte überrascht nach Luft, als der Rausch der Hitze aus meinem Körper verschwand und ich die leuchtenden Zungen um mich herum sah. Auch sie erloschen langsam, doch es gab keinen Zweifel. Sie waren aus meinem Körper gekommen.
Tief aus meinem Inneren.

„Kiran!“
Endlich konnte Elly zu mir durchdringen und rannte durch den immer noch brüllenden Sturm auf mich zu. Fassungslos stand ich da und starrte auf meine Hände, die keinen einzigen Kratzer von dem Feuer davon getragen hatten. Wie konnte das sein? Was war mit mir passiert?
Elly stolperte auf mich zu und wollte nach meinem Arm greifen, als ein Windstoß sie von den Beinen riss und am Boden festnagelte. Schneeflocken und Eiskristalle wirbelten herum und ballten sich über ihr zu einem formlosen Körper zusammen. Kalte Augen starrten sie an und dürre Klauen hinterließen blaue Kältespuren auf ihren bloßen Armen.
„Elly!“ ich riss mich aus meinem Staunen und ballte wütend die Fäuste. Die Schneegeister fauchten.
„Lasst sie in Ruhe und verschwindet endlich!“
Die Geister zischten und schlugen grimmig ihre Fänge aufeinander. Sie ließen nicht von Elly ab und zwei von ihnen bewegten sich auf mich zu.

will nicht gleiten…will nicht fallen…wir werden ihn nicht auffangen…wird für immer kalt sein…wird weiter schreien…eisige Klauen ihn ins Verderben stürzen!…Plötzlich schnellten sie vor und ihre eisigen Krallen streiften mein Gesicht, als ich plötzlich schrie.
Ich brüllte laut und wieder durchströmte mich eine enorme Kraft, die wie ein großes Feuer in mir loderte. Ich heizte mich auf und winzige Flammen züngelten auf meiner Haut. Ich versuchte diese Macht in mir zu kontrollieren, wollte sie weiter an die Oberfläche ziehen. Mit einem Aufschrei riss ich die Arme hoch und das Feuer stieß aus dem Boden hervor. In einer riesigen Feuersäule schoss es in die Höhe, wirbelte um mich herum und schloss mich in ihren Strom ein. Die Schneegeister schrien schmerzerfüllt und verglühten in der mächtigen Feuerwand, die sich vor ihnen erhob. Immer höher stieg die flammende Säule, durch den dichten Sturm, der widerwillig vor ihr zurückwich. Der zornige Wind wollte die Flammen von ihrem Kurs abbringen, doch sie schlugen nach ihm aus und schossen weiter empor, auf die düsteren Wolken zu. Sie durchstießen die dichte, undurchdringliche Masse mit einem lauten Kreischen und der Schneesturm schrie auf. Er tobte und brüllte, wollte sich nicht geschlagen geben.

Doch dann zog ein rotes Licht durch die Wolkenmasse und mit einem Mal war es still. Die Flammensäule erlosch und ich fiel erschöpft auf die Knie. Scharf sog ich die kalte Luft ein und starrte auf meine zitternden Hände. Es fiel kein Schnee mehr und der Sturm war zum Erliegen gekommen. Ungewöhnliche Stille herrschte auf dem Kampfplatz, wo zuvor noch ein mächtiger Schneesturm getobt hatte. Kein einziges Lüftchen regte sich und die dichten Wolken über mir schienen nicht mehr so nah und bedrohlich. Was war hier nur geschehen. Was hatte ich getan?
Elly rappelte sich langsam wieder auf und stöhnte. Verwirrt sah sie sich um und kam dann auf mich zu. „Was ist passiert? Was…hast du gemacht?“
„Ich…ich weiß es nicht.“ gab ich zu. Ich wusste es wirklich nicht. Ja, ich hatte etwas getan, etwas, was dieses Feuer hervorgerufen hatte. Doch ich wusste nicht wie. Es war eher so etwas, wie ein Gefühl gewesen.
Wut. Ich war wütend gewesen und in mir hat es sich angefühlt, als bestünde mein Körper aus loderndem Feuer. Ich konnte es mir nicht erklären. Elly sah mich lange an, bis sie mir wohl meine Worte abkaufte und seufzte leise. „Wir werden schon noch herausfinden, was mit dir nicht stimmt.“

Als ich endlich wieder drinnen im warmen und sicheren Palast war, dampfte in meinen Händen eine heiße Tasse Tee und mindestens fünf Decken umgaben meinen gefrorenen Körper. Elly saß mir gegenüber und schärfte ihr Schild. Sie hatte es von den Elfenkriegern der ersten Garde der Königin bekommen. Es bestand aus leichtem Diamanteisen, das an seinen Rändern mit Drachenstahl ausgestattet war. Dieser Drachenstahl war zu einer scharfen Klinge geschliffen worden, die sich um das ganze Schild zog. So konnte sie auch damit Gegner angreifen und tödlich verletzen. Der Griff, mit dem man es festhielt, war aus Drachenknochen und feinstem Leder gemacht. Vorn prangte das Siegel des Laesapalastes auf dem funkelnden Metall: Ein aufsteigender Greif in einer funkelnden Diamanteisenrüstung, dessen Gestalt von silbernen Schleiern an seinem Halskragen und Sattel verziert wurde. Wirklich ein Meisterwerk. Das musste man den Elfen schon lassen.

„Meinst du, sie schenken mir auch noch so eine Waffe?“ fragte ich lächelnd. Elly blickte auf und erwiderte es. „Naja, du hast ja schon eine. Ich habe die Krieger der ersten Garde sagen hören, dass deins ein ganz besonderes Schwert sein soll.“ flüsterte sie mir zu.
Bevor ich sie mehr fragen konnte, platzte Andriel ins Zimmer und warf eine der wertvoll aussehenden Kunstvasen um, die überall im Palast verteilt waren. Auf ihnen fand man kunstvolle Gemälde von alten Schlachten, gefallenden Helden und alten Königen. Klirrend ging sie zu Boden und die Scherben verteilten sich im ganzen Raum. Der Elfenprinz fluchte leise und schob die Scherben vorsichtig zur Seite. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Er verdrehte genervt die Augen. „Hör auf zu grinsen. Das war die Vase, auf der mein Großvater abgebildet war. Ein großer Kriegsheld. Ich muss das Ding schnell verschwinden lassen, bevor meine Mutter das herausbekommt.“

Ich lachte und auch Elly musste sich zusammen reißen. „Wir können dir ja gerne dabei helfen.“
„Nee nee, lasst mal. Es gibt Wichtigeres. Die Königin fragt nach deinem und Nidas Gesundheitszustand. Sie will nicht mehr länger warten. Sonst verpassen wir den Geist des Waldes Flora noch am ausgemachten Treffpunkt.“
Ich seufzte. Die Elfenkönigin ging mir langsam auf die Nerven. Sie würde später sicher nicht in einer Rüstung im eisigen Sturm stehen und gegen diese Ungeheuer kämpfen. Außerdem waren wir in der Unterzahl. Da war ich mir ganz sicher. Unser Gegner war gerissen und keinesfalls schwach oder unbedacht. Er verfolgte einen Plan. Er hatte schon einen harten Schachzug gespielt. Ich fragte mich immer noch, ob ich den Gestaltenwandler und seine Schwester jemals wiedersehen würde.

„Mir geht es soweit gut. Und Nida wird es bis morgen früh wohl auch schaffen. Wo ist dieser Treffpunkt?“
„Bei den toten Sümpfen.“ antwortete Andriel, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich starrte ihn an. „Du willst der Natter direkt in ihr Nest folgen? Seid ihr Elfen eigentlich wahnsinnig?“
„Was heißt hier der Natter in ihr Nest folgen? Es ist der beste Ort, um den Feind gleich im Kern zu vernichten,“ entgegnete Andriel. Ich stieß kopfschüttelnd die Luft aus und war aufgestanden. Der Deckenberg fiel von meinem Körper auf den Scherben bedeckten Boden.
„Um den Feind gleich im Kern zu vernichten? Die toten Sümpfe sind der Ursprung dieser Finsternis. Und du glaubst wirklich, direkt in sie hinein zu laufen, könnte uns helfen sie zu besiegen? Das ist doch eine Falle! Wenn wir da hingehen, sitzen wir fest. Da kommen wir sicher nicht mehr so einfach davon!“

„Wieso weißt du eigentlich immer alles besser? Unsere Königin hat so entschieden und ich glaube an ihre strategischen Fähigkeiten.“ knurrte Andriel und richtete sich drohend vor mir auf, was recht lächerlich war, denn er war kleiner als ich. Ich funkelte ihn an und schnaubte. „Deine Königin hat doch keine Ahnung, in was sie da hinein rennt. Niemand von uns weißt das so genau. Und da will sie sich gleich in den ausgestreckten Speer des Feindes werfen? Ich glaube, sie hat noch nicht so viele Schlachten hinter sich.“
„Was spuckst du hier eigentlich so große Töne, Bauernjunge? Nur weil etwas mit dir nicht stimmt, heißt das nicht, dass du hier die Entscheidungen triffst! Sei froh, dass wir uns an diesem Krieg beteiligen. Sonst hättet ihr so gut wie keine Chance. Oder wie willst du ganz allein gegen ein ganzes Heer ankommen?“

„Ich will bloß Lucy retten!“ rief ich wütend. Daraufhin stampfte jemand mit dem Fuß auf und stellte sich zwischen uns.
„Jetzt reicht es aber! Hört endlich auf! Kiran, hier geht es nicht nur um Lucy, unsere ganze Welt ist in Gefahr und diese Gefahr wird lange noch nicht gebannt sein, wenn Lucy wieder befreit ist. Und Andriel, was die Elfenkönigin vorhat, ist wirklich Wahnsinn. Kiran hat Recht, das können wir nicht tun.“
Elly hielt uns beide voneinander fern und sah uns eindringlich in die Augen. Ein bisschen war ich froh, dass sie eingeschritten war. Andriel dagegen funkelte uns beide nur gereizt an. „Ich weiß schon, warum wir uns eigentlich von den Menschen fernhalten.“

Damit verschwand er ohne ein weiteres Wort aus dem Raum. Ich sah ihm hinterher und wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Vielleicht sollte ich diesem Elfen einfach mehr Vertrauen schenken. Vielleicht war ich einfach viel zu misstrauisch und vorsichtig. Ich seufzte schwer. Elly wandte sich zu mir um. „Ihr solltet euch nicht so viel streiten. Uns steht ein Krieg bevor.“
„Ich weiß.“


Ronja, Jg. 13


Ronja schreibt schon seit sie etwa 10 Jahre alt ist – am liebsten Fantasy, Krimi und Mystery. Sie nimmt auch an der AG „Kreatives Schreiben“ teil, wo sie sich mit anderen über ihre Texte austauscht und Unterstützung beim Schreiben bekommt.

Feuerfeder“ ist ein Roman mit mehreren Teilen. Den ersten Teil hat Ronja in Jg. 8 begonnen, inzwischen schreibt sie am dritten Teil. Ob sie ihre Arbeit bald beenden kann, ist noch nicht absehbar, weil sie leider nebenbei auch zum Unterricht gehen, Hausaufgaben machen und für Klausuren lernen muss.

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