Gemeinsam an der KGS

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von Thubelihle (Jg. 10)

Wisst ihr eigentlich, wie viele KGS-Menschen aus anderen Ländern kommen, oder ihre Wurzeln in anderen Ländern haben? Ich selbst kommen aus Simbabwe und bin seit einem Jahr Schülerin an der KGS Rastede. Schüler*innen, die auch aus anderen Ländern kommen, habe ich zuerst im DAZ-Unterricht kennengelernt. Nach und nach habe ich aber mitbekommen, dass es noch viel mehr Schüler*innen gibt, die in anderen Ländern geboren wurden oder ihre Wurzeln in anderen Ländern haben. Das hat mich neugierig gemacht, ich wollte gern herausfinden, wie vielfältig unsere Schule im Hinblick auf die Herkunft der Schüler*innen und der Lehrkräfte ist. In diesem Artikel stelle ich sechs dieser Personen in Form von Steckbriefen und Interviews vor – mich selbst eingeschlossen. Außerdem wurde von allen Befragten eine Tonaufnahme gemacht. Sie stellen sich dabei selbst in ihrer Muttersprache bzw. der Muttersprache ihrer Eltern vor.

Falls du auch aus einem anderen Land kommst oder deine Wurzeln in einem anderen Land hast, dann schreib eine E-Mail an schuelerzeitung@kgs-rastede.eu. Im nächsten Schuljahr möchte ich gern weitere Personen vorstellen, um nach und nach die Vielfalt an der KGS sichtbar zu machen und die Frage zu beantworten. Die Vielfalt an unserer Schule zu thematisieren, gibt uns die Möglichkeit uns als Schulgemeinschaft besser kennenzulernen.

Alesya

ist vor zwei Monaten vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflohen. Sie versteht noch kein Deutsch.

Name: Alesya

Jahrgang: 5

Herkunft: Charkiv in der Ukraine

Muttersprache: Ukrainisch

Lieblingsfächer: Mathe und Sport

Hobbys: Volleyball und Badminton

Traumberuf: Youtuberin

Hier stellt Alesya sich selbst auf Ukrainisch vor.

Alesya, du bist erst seit wenigen Wochen in Deutschland. Hast du dich schon bei uns an der KGS Rastede eingelebt?

Ja, es gefällt mir sehr gut hier in Deutschland und an der Schule. Ich habe auch sofort Freunde gefunden. Denn meine Cousine ist schon eine Weile hier und hat mir alle ihre Freund*innen gezeigt.

Was machst du nach der Schule? Konntest du deine Hobbys beibehalten?

In meiner Freizeit gehe ich meistens raus. Ich spiele auch Badminton und Volleyball. Zum Glück kann ich meine Hobbys auch hier in Deutschland beibehalten.

Was ist hier in Deutschland und an der KGS Rastede anders als in deiner Heimat?

In meinem Land da ist meine Heimatstadt, meine Freunde, meine Familie – meine ganze Kindheit. Jetzt ist alles anders, weil hier ganz andere Menschen sind.

Wie war das für dich, als Russland die Ukraine angegriffen hat und in der Ukraine plötzlich Krieg war?

Ich hatte sehr große Angst. Wir wurden Tag und Nacht beschossen und mussten immer im Keller schlafen.

Ist es dir schwer gefallen, deine Heimat zu verlassen?

Ja, das war sehr schwer für mich.

Wie bist du aus der Ukraine nach Deutschland gekommen?

Wir sind mit dem Auto gefahren.

Hast du noch Kontakt zu Menschen in der Ukraine?

Ja, ich halte Kontakt mit Freunden und Familie.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass der Krieg vorbei ist. Zu Besuch sein, ist gut. Doch zu Hause ist es immer besser.

Thubelihle und Benedicta

kommen ursprünglich aus Afrika. Benedicta ist vor 2,5 Jahren aus Ghana nach Deutschland gekommen. Kimberly kommt aus Simbabwe und lebt seit 1,5 Jahren in Deutschland.

Name: Thubelihle Kimberly

Jahrgang: 10

Herkunft: Simbabwe

Muttersprache: Ndebele/IsiZulu

Lieblingsfächer: Englisch, Chemie

Hobbys: Stricken, Häkeln, Lesen

Traumberuf: Kardiologin (Ärztin)

Hier stellt Thubelihle sich selbst auf Ndebele vor.

Name: Benedicta

Jahrgang: 10

Herkunft: Ghana

Muttersprache: Twi

Lieblingsfächer: Englisch, Werte & Normen, Biologie

Hobbys: Musik hören, Reisen, Schwimmen

Hier stellt Benedicta sich selbst auf Twi vor.

Warum seid ihr nach Deutschland gekommen?

Benedicta: Ich bin aus Ghana nach Deutschland gekommen, um hier zur Schule zu gehen und bei meinem Vater zu leben. Mein Vater lebt aus beruflichen Gründen schon seit dreißig Jahren in Deutschland.

Was war am Anfang für euch besonders neu und anders, als ihr in Deutschland angekommen seid?

Kimberly: Das Wetter war sehr anders und ist es immer noch. Als in Frankfurt gelandet bin, war es richtig kalt. Ich hatte noch nie zuvor eine solche Kälte gefühlt. Das war im Januar – in Simbabwe ist im Januar Sommer. Außerdem war die deutsche Sprache sehr schwer zu verstehen. Als wir auf dem Flughafen in Deutschland ankamen, wollte dort niemand Englisch mit uns sprechen.

Benedicta:  Die Anfangszeit in Deutschland war für mich sehr ruhig, weil ich während der Corona-Pandemie hierherkan und die Schule sich im Lockdown befand. Daher war ich erst einmal monatelang zu Hause. Als ich dann an die KGS Rastede kam, war ich total überrascht, weil die Leute in Deutschland alle immer Deutsch sprechen. In Ghana sprechen die Menschen unsere Muttersprache Twi nämlich nur im Privatleben. In der Schule und in der Öffentlichkeit sprechen sie Englisch. Und ich dachte, das sei in Deutschland auch so, und bin davon ausgegangen, dass hier in den Geschäften und in der Schule Englisch gesprochen wird.

Wie war euer erster Eindruck von der KGS Rastede? Worin bestehen Unterschiede zwischen der Schule in Deutschland und der Schule in euren Herkunftsländern?

Kimberly: Im ersten Monat war ich ausschließlich im DAZ-Unterricht (Deutsch als Zweitsprache). Der fand in der Feldbreite statt und daher hatte ich erst einmal keinen Kontakt zu Schüler*innen in meinem Alter. Als ich dann einer zehnten Klasse in der Wilhelmstraße zugeteilt wurde, war ich nervös und ängstlich, wie es sein würde, wenn ich zum ersten Mal meine Klassenkamerad*innen treffe. Einer meiner ersten Eindrücke war, dass die Schule sehr, sehr groß ist. Zu Hause hatten wir nicht so viele Schüler*innen in einer Schule und die Schüler*innen identifizieren sich dort mehr mit ihrer Schule. Hier scheint sich jede*r in seiner eigenen Sphäre zu bewegen – das hat meiner Meinung nach Vor- und Nachteile.

Benedicta: Ich war anfangs etwas verwundert über das Schulsystem mit den drei Schulzweigen. Diese Unterteilung gibt es in Ghana nicht. Dort gehen alle zusammen in die Junior Highschool. Dann machen einige weiter mit der Senior Highschool, um das Abitur zu erlangen. Und es gibt in Deutschland keine Schuluniformen. In Ghana müssen Schüler*innen eine Schuluniform tragen, damit jederzeit erkennbar ist, zu welcher Schule sie gehören.

Ihr musstet und müsst ja zuerst einmal Deutsch lernen. Wie funktioniert das an der KGS Rastede?

Kimberly: Wir lernen Deutsch als Zweisprache (DaZ). Wenn man nach Deutschland kommt und kein Deutsch kann, können die Lehrkräfte einem zwei Jahre lang keine Noten geben. Dadurch kann man diese Zeit zu nutzen, um Deutsch zu lernen. Nach diesen zwei Jahren muss man vollständig am Unterricht in einer normalen Klasse teilnehmen. Der Unterricht in DaZ ist sehr hilfreich, aber es ist schwierig, dass in einer Klasse Schüler*innen sind, die schon unterschiedlich gut Deutsch können und deshalb unterschiedliche Aufgaben machen. Was wir im DaZ-Unterricht lernen, reicht auch nicht immer aus, um in den verschiedenen Fächern schon alle Inhalte und Begriffe auf Deutsch zu verstehen.

Was gefällt euch an der KGS Rastede und was gefällt euch nicht?

Kimberly: Mit gefällt, dass die Schule offen ist für verschiedene Meinungen und alle möglichen Themen, die den Schüler*innen wichtig sind. Ich empfinde die KGS Rastede als offenen Raum, in dem Schüler*innen frei denken und sich selbst auszudrücken können – zum Beispiel auch durch individuelle Kleidung. In Simbabwe gibt es sehr strenge Regeln bezüglich der Schuluniform und auch beim Zuspätkommen. Wer zu spät zur Schule kommt, wird nicht mehr reingelassen. An der KGS Rastede gibt es mehr Flexibilität – das finde ich gut. Nicht so gut gefällt mir, dass wir Schüler*innen hier kaum eine Verbindung untereinander und zu unserer Schule haben. Ich fände es toll, wenn es mehr Veranstaltungen gäbe, bei denen sich die Schüler*innen als Teil der Schule fühlen. Das könnte ein Tag sein, an dem die ganze Schule zusammenkommt und etwas lustiges und aufregendes zusammen erlebt. Zwar gibt es dafür an der KGS Rastede manchmal Ansätze, aber meist macht man dabei nur Sachen mit demselben Jahrgang. Es sollte mehr jahrgangsübergreifende Veranstaltungen geben.

Benedicta: Die Frage ist gar nicht so leicht. Ich finde es zum Beispiel gut, dass es keine Schuluniform gibt, weil man anziehen kann, was einem selbst gefällt. Andererseits ist es manchmal ein bisschen anstrengend, dass man morgens immer erst überlegen muss, was man anzieht. Ich finde es richtig gut, dass es an der KGS so viele Pausen gibt und dass die Schule erst um 8.00 Uhr beginnt. In Ghana fängt die Schule schon um 7.00 Uhr an, aber man muss schon viel eher da sein. Denn genau um 7.00 Uhr wird die Schule geschlossen und dann kommt man nicht mehr rein. Man wird bestraft fürs Zuspätkommen. Die Schule geht bis 16.00 Uhr und es gibt den ganzen Tag nur zwei Pausen. Die Frühstückspause dauert 30 Minuten und die Mittagspause eine Stunde. Was mir hier ein bisschen fehlt, sind Schulveranstaltungen für die ganze Schule. In Ghana gibt es mehr Schulveranstaltungen für alle und auch Schulfeste.

Was gefällt euch am besten an Deutschland?

Kimberly: Es ist sehr gut, dass die Schule und auch das Studium hier kostenlos sind. In Simbabwe müssen die Eltern für beides sehr viel Geld bezahlen.

Benedicta: In Ghana gibt es zwar kostenlosen Unterricht, aber der ist nicht so gut. Daher gehen viele an Privatschulen und diese sind sehr teuer. Daher finden ich es auch sehr gut, dass es in Deutschland kostenlos eine gute Schulbildung gibt. Und in Deutschland kann man richtig gut shoppen. Es gibt viele verschiedene Geschäfte.

Und was vermisst ihr am meisten?

Kimberly: Ich vermisse die Früchte. In Simbabwe gibt es dieselben Früchte wie in Deutschland, aber sie schmecken dort viel besser. Die Mangos sind zum Beispiel viel saftiger, süßer und es gibt sie in vielen Größen. Und ich vermisse die party vibes – Partystimmung. In Simbabwe gibt es viel mehr Partys. Man feiert auch ohne speziellen Grund mit den Freunden oder Nachbarn, z.B. freitags – einfach weil die Woche vorbei ist.

Benedicta: Am meisten vermisse ich das Eis. Es schmeckt gar nicht unbedingt besser, aber in Ghana gibt es eine spezielle Atmosphäre rund ums Eis. Eiscreme zu kaufen, ist ein Event. Und ich vermisse auch Wasserfälle. In Ghana gibt es eine sehr schöne Natur mit Flüssen und Wasserfällen. Und natürlich vermisse ich auch die Partys.

Frau Tawussi

wurde im Iran geboren und ist mit ihrer Familie nach Deutschland gekommen, als sie fünf Jahre alt war.

Name: Mona Tawussi

Beruf: Lehrerin für Darstellendes Spiel (DS), Musik und Englisch

Herkunft der Eltern: Deutschland (Mutter) und Iran (Vater)

Muttersprache(n): Deutsch, bis 5 Jahre auch Farsi (Persisch/Iranisch)

Hobbys: Improvisationstheater spielen, Singen, Gitarre spielen, Lesen, Reisen, Tanzen

Hier stellt Frau Tawussi sich selbst auf Farsi vor.

Wann ist Ihre Familie nach Deutschland gekommen und wo genau haben Sie vorher gelebt?

1981 – ich war 5 Jahre alt – ist meine Familie aus Teheran (Hauptstadt des Iran) nach Deutschland gekommen.

Warum haben sich Ihre Eltern entschieden, nach Deutschland zu kommen?

Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Iraner, beide haben sich in Deutschland kennengelernt und sind in den 1970er Jahren zusammen in den Iran gegangen. 1979 gab es die Islamische Revolution im Iran. Die deutsche Schule, an der meine Mutter unterrichtete, wurde geschlossen, alle Frauen und Mädchen mussten ein Kopftuch tragen oder sich verschleiern. Meine Mutter wurde ständig gefragt, ob sie Amerikanerin sei, denn die USA wurde (neben anderen westlichen Ländern) zum großen Feindbild erklärt.

1980 begann dann der Krieg zwischen dem Irak und dem Iran. Es gab viele Angriffe auf die Hauptstadt Teheran, so dass wir in ständiger Angst lebten, dass uns, der Familie meines Vaters, unseren Freunden oder Nachbarn etwas passieren könne. Abends durfte niemand mehr das Haus verlassen, es gab ständig Alarm (oft nachts), so dass wir schnell mit unseren Nachbarn in den Keller gehen mussten. Man hörte die Bombeneinschläge und hoffte immer wieder, dass es schnell aufhören und niemanden treffen würde… Alle Menschen in Teheran mussten ihre Fenster verdunkeln, so dass kein Licht nach draußen drang und die Großstadt von den feindlichen Fliegern nicht sofort von oben erkannt wurde. Der Strom ist aber sowieso ständig ausgefallen, so dass es oft stockdunkel war und die Petroleumlampen die einzigen Lichtquellen waren. Ich war zwar erst vier Jahre alt, aber ich erinnere mich gut an die Angst, Hektik und Sorge meiner Eltern, wenn sie mich z.B. nachts aus dem Bett zerren und schnell mit mir die Kellertreppe herunterrennen mussten. Einmal ist meine Mutter mit mir im Dunkeln gestolpert und wäre fast die Treppe heruntergefallen. Es ist einfach schrecklich, einem grauenhaften Krieg ausgesetzt zu sein und immer mit der Angst zu leben, es könnte dich oder deine Liebsten als nächstes treffen…

Meine Mutter und ich hatten die deutsche Staatsangehörigkeit, deswegen durften wir das Land verlassen. Lange haben wir kein Ticket bekommen, oder die Flugzeuge konnten wegen möglicher Angriffe nicht fliegen. Knapp ein Jahr nach Kriegsbeginn konnten wir beide nach Deutschland fliegen. Mein Vater, der noch keine deutsche Staatsangehörigkeit hatte, musste im Iran bleiben und sich wie jeder iranische Mann bereithalten, um vielleicht als Soldat in den Krieg zu ziehen. Es war sehr schwer, meinen Vater am Flughafen zu verabschieden. Er ist dann ein halbes Jahr später geflohen, was sehr gefährlich war. Er hat seine Eltern, Geschwister und weiteren Familienmitglieder im Ungewissen im Iran zurückgelassen, um zu seiner Frau und seiner Tochter zu gehen. Da er das Land illegal verlassen hatte, konnte er lange nicht in den Iran zurückkehren, weil ihm vielleicht der Pass weggenommen und er ins Gefängnis gesteckt worden wäre. Er hat seine Eltern nie wieder gesehen, weil sie beide im Iran gestorben sind, ohne dass er sie nochmal besuchen konnte. Mir kommen die Tränen, wenn ich daran denke.

Wohin in Deutschland sind Sie zuerst mit ihrer Familie gezogen?

Wir sind zuerst bei meinen Großeltern (den Eltern meiner Mutter) in ihrer Dreizimmerwohnung in Emden untergekommen. Nach gut einem halben Jahr sind wir in eine eigene kleine Wohnung gezogen. In Emden bin ich zur Schule gegangen.

An welchen Orten in Deutschland haben Sie seitdem gelebt und wie sind Sie schließlich an die KGS Rastede gekommen?

Nach dem Abitur habe ich ein Jahr in Bremen und sieben Jahre in Oldenburg gelebt. Zwischendurch habe ich ein Auslandsjahr an der Newcastle University im Norden Englands gemacht. Nach drei Jahren in Hannover habe ich 15 Jahre in Hamburg gelebt und bin im letzten August mit meiner kleinen Familie zurück nach Oldenburg gezogen. Seitdem unterrichte ich an der KGS Rastede. Im Iran war ich seit 1981 nicht mehr, mein Vater war das erste Mal wieder 2005 dort, nach 24 Jahren…

Wie war es für Sie, Deutsch zu lernen? Wie unterscheidet sich Ihre Muttersprache von der deutschen Sprache?

Da meine Mutter Deutsche ist, bin ich die ersten 5 Jahre bilingual aufgewachsen. Ich habe also von Anfang an Deutsch und Farsi (Persisch/Iranisch) gelernt. Als mein Vater nach Deutschland kam, hat er es leider nicht geschafft, weiter mit uns Farsi zu sprechen, deswegen habe ich die Sprache verlernt. Sehr schade!

Es wird die arabische Schrift genutzt, die von rechts nach links gelesen wird. Die Sprache unterscheidet sich aber vom Arabischen. Das R wird gerollt. Am Telefon wird sehr laut gesprochen. Es wird oft in „blumigen“ Bildern gesprochen und es gibt sehr viele Höflichkeitsfloskeln. Man weiß nie, wer sich bei der Begrüßung und beim Abschied mehr bedankt, der Gast oder der Gastgeber.

Achtung! Nicht den Daumen hoch zeigen, das bedeutet im Iran, den Mittelfinger zeigen.

Wie hat es sich dann weiterhin in Ihrem Familienleben bemerkbar gemacht, dass Sie bzw. die Familie Wurzeln in einem anderen Land haben?

Da mein Vater schon vorher eine Zeit lang in Deutschland gelebt hatte, war ihm das Land nicht fremd. Wir hatten durch meine Mutter bereits im Iran Weihnachten und Geburtstag gefeiert, auch wenn es damals im Iran nicht üblich war. Das große Neujahrsfest Nouruz haben wir in Deutschland nicht mehr groß gefeiert, außer ein paar Glückwunschkarten an die Familie zu schreiben. Im Gegensatz zu meinen Klassenkameradinnen und Freundinnen in Emden dauerte es in meiner Jugend vielleicht etwas länger, bis mein Vater mir etwas erlaubt hatte, aber im Grunde haben wir tatsächlich keine iranischen Traditionen oder Rituale in Deutschland gepflegt.

Mein Vater ist ein ausgezeichneter Koch, und ich habe schon immer seine iranischen Gerichte genossen. Außerdem gibt es noch kleinere Sachen, an denen man Unterschiede bemerkt: Im Iran ist der Gast König. Wenn also Besuch kommt, muss alles tipptopp sein und mein Vater macht sich krumm, damit es viel gutes Essen und noch mehr für alle Gäste gibt. Man muss immer drei Mail fragen, ob jemand noch etwas essen möchte, genauso muss der Gast zwei Mal ablehnen, auch wenn er noch hungrig ist. Beim dritten Mal darf er zustimmen. Das kann zu Missverständnissen und Hunger führen.

Es muss immer mehr Essen gemacht werden, als gegessen werden kann, es gilt als unhöflich und geizig, wenn die Gäste alles aufessen und es keine Reste mehr gibt. Wenn die Gäste gerne lange bis in die Nacht wach sein und sich unterhalten möchten, bleibt mein Vater aus Höflichkeit so lange bei ihnen sitzen, bis der Letzte ins Bett geht, obwohl er todmüde und ein Frühaufsteher ist.

Zu meiner Hochzeit mussten alle möglichen Familienmitglieder eingeladen werden, obwohl ich einige von ihnen gar nicht kannte. Das hat meinen Mann und mich irritiert. Einige entfernte Familienmitglieder, die ich nicht eingeladen hatte, weil ich sie nicht kannte, reden seitdem nicht mehr mit meinem Vater… Diejenigen, die bei der Hochzeit waren, haben eine wunderbare Stimmung mitgebracht und das Fest zu einem großartigen, unvergesslichen Event gemacht. Es wurde bis zum nächsten Morgen durchgetanzt!

Haben Sie noch Verwandte oder Bekannte in der Heimat Ihres Vaters?

Mittlerweile haben alle engen Verwandten den Iran verlassen. Sie wohnen in den USA, in Kanada, in den Niederlanden, in Österreich und Deutschland. Meine Tante (2 Jahre älter als mein Vater) wurde letztes Jahr von ihrem Sohn aus Teheran nach Hannover geholt, weil sie mittlerweile alt ist und ohne enge Verwandte in Teheran lebte, außerdem ist die Inflation in den letzten Jahren stark gestiegen. Das heißt, dass das Geld nicht viel wert ist und man z.B. für das Nationalgericht Chelou Kabab ca. 1.300.000 Rial (umgerechnet nur ca. 5 €) bezahlen muss. Von den Unruhen im Land hat man ja in unseren Medien gehört…

Wie ist heute Ihr Verhältnis zum Herkunftsland?

Ich war, wie gesagt, nie wieder im Iran, aber trage diesen Teil irgendwie in mir, auch wenn ich größtenteils „deutsch“ aufgewachsen bin. Meine Eltern haben zwei große Gegensätze dargestellt: die Ruhe und Bücher liebende, zurückhaltende, norddeutsche Mutter und der temperamentvolle, aufgeregte, manchmal auch aufbrausende, laute, lustige, viel redende Vater – dazwischen bin ich aufgewachsen. Ich mag beides gerne, liebe die aufgeschlossene, SEHR gastfreundliche, oft fröhlich unbeschwerte, iranische Art und lebe auch sehr oft die norddeutsche Lebensweise.

Ich denke, egal wie, alle Arten des Miteinanders und „Über-den-Tellerrand-Schauens“ sind gut dafür, den Horizont zu erweitern und Toleranz für das mögliche „Andere“ aufzubauen, uns für unsere Mitmenschen zu öffnen und friedlich mit ihnen zu leben, denn – glaubt mir – KEIN MENSCH BRAUCHT EINEN KRIEG!

Lilly und Sonja

sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern stammen aus Russland und Kasachstan.

Name: Lilly

Jahrgang: 5

Herkunft: Deutschland

Herkunft der Eltern: Kasachstan

Muttersprache(n): Deutsch und Russisch

Lieblingsfach: Sport

Hobbys: rhythmische Sportgymnastik

Traumberuf: Polizistin

Hier stellt Lilly sich selbst auf Russisch vor.

Name: Sonja

Jahrgang: 5

Herkunft: Deutschland

Herkunft der Eltern: Russland, Kasachstan

Muttersprache(n): Deutsch und Russisch

Lieblingsfächer: Geschichte und Sport

Hobbys: rhythmische Sportgymnastik

Traumberuf: Innenarchitektin

Hier stellt Sonja sich selbst auf Russisch vor.

Woher stammen eure Eltern und wie sind sie nach Deutschland gekommen?

Lilly: Meine Eltern sind mit dem Flugzeug aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Mein Papa kam im Mai 2000 aus Astana – das ist die Hauptstadt von Kasachstan. Mama kam im April 2003 aus Semipalatinsk – das ist eine kleine Stadt. Sie kannten sich vorher nicht, sondern haben sich in Deutschland beim Sprachkurs kennengelernt.

Sonja: Mein Papa kommt ursprünglich aus Russland – aus der Stadt Mihalafka in Sibirien. Meine Mutter ist in Kasachstan geboren und mit 16 Jahren nach Russland gezogen. Von dort aus sind sie dann, als sie 20 Jahre alt waren, gemeinsam nach Deutschland gezogen. Das war im April 1999. Da hatten sie schon ein Kind, meinen großen Bruder.

Warum haben sich eure Eltern entschieden nach Deutschland zu kommen?

Sonja: Mein Vater hat deutsche Vorfahren. Sie waren aus Deutschland nach Russland ausgewandert. Meine Eltern haben sich entschieden, dass unsere Familie wieder in Deutschland leben soll, weil es in Sibirien zu der Zeit nur sehr wenig zu kaufen gab, es war ein sehr einfaches Leben. In Deutschland gab es einfach viel mehr Dinge, die man braucht, um gut zu leben. Meine Großeltern sind daher auch nach Deutschland gezogen. Aber meiner Oma hat es nicht hier nicht so gut gefallen. Deshalb leben sie jetzt wieder in Sibirien auf dem Land.

Lilly: Meine Eltern wollten gern in Deutschland leben, weil ihre Vorfahren auch aus Deutschland kamen. Sie wollten die Familie gern zurück nach Deutschland bringen. Meine Großeltern und meine Tante und mein Onkel sind auch gleichzeitig mit ihnen nach Deutschland gekommen.

Wie macht es sich in eurem Familienleben bemerkbar, dass eure Eltern Wurzeln in einem anderen Land haben?

Lilly: Wir feiern Weihnachten zwei Mal. Das russische Weihnachten ist nämlich am 31. Dezember. Sylvester und Weihnachten finden in Russland gleichzeitig statt. Daher bekomme ich auch zwei Mal Geschenke: einmal am 24. Dezember und einmal am 31. Dezember. In Russland bringen Väterchen Frost und seine Tochter Sniguritschka die Geschenke. Das russische Ostern findet auch eine Woche später als das deutsche statt. Daher feiern wir auch zwei Mal Ostern.

Sonja: Das ist bei uns auch so. Zu Festen und besonderen Gelegenheiten macht meine Mutter Schuba, einen Salat aus Roten Beeten, Fisch, Ei und Mayonaise. Das ist eine Tradition, aber ich esse es nicht. Aber wir essen auch sonst oft russische Gerichte, die ich gern mag: Pelmeni sind Teigklößchen mit Fleischfüllung, Tschiboreki sind Teigtaschen mit Fleisch, Galuschki sind Teigklößchen und Aliwjer ist eine bestimmte Art von Kartoffelsalat. Wenn wir in der Familie zusammen sind, sprechen wir außerdem ganz oft Russisch.

Wie war es für euch, mit zwei Sprachen aufzuwachsen?

Sonja: Ich habe zuerst Deutsch gelernt, damit ich mich in der Kindergrippe verständigen konnte. Dann haben meine Eltern mir auch Russisch beigebracht und mit drei Jahren konnte ich das dann auch. Zu Hause sprechen wir hauptsächlich Russisch, mit meinen Geschwistern spreche ich aber auch Deutsch. Mir ist es wichtig, viel Russisch zu sprechen, um meinen Wortschatz zu erweitern. Lesen und Schreiben fällt mir nicht ganz so leicht. Daher lese ich keine ganzen Bücher auf Russisch, aber ich lese Märchen und einfachere Texte. Ich fand es nie schwierig, zweisprachig zu sein. Aber natürlich mischt man manchmal die Sprachen durcheinander.

Lilly: Ich habe zuerst Russisch gesprochen. Erst im Kindergarten habe ich dann Deutsch gelernt. Ich hatte im Kindergarten eine Freundin, die Russisch und Deutsch konnte. Sie hat mir geholfen, daher war es kein Problem, dass ich noch kein Deutsch konnte. Zu Hause sprechen wir häufiger Russisch, aber wir sprechen auch Deutsch.

Fahrt ihr mit euren Familien ins Heimatland eurer Eltern? Habt ihr Kontakt zu Verwandten oder Freunden dort?

Sonja: Meine Tanten und Cousinen leben in Russland in der Gegend, aus der mein Vater stammt. Bis ich etwa fünf Jahre alt war, haben wir sie oft besucht. Aber seitdem nicht mehr, weil die Flüge sehr teuer sind. Wegen der schwierigen politischen Situation in Russland haben meine Eltern auch Angst, dass man uns vielleicht nicht zurückfliegen lässt. Mit unseren Verwandten telefonieren wir und wir machen auch Video-Chats. Als ich in Russland zu Besuch war, fand ich es gut, dass es dort im Winter richtig kalt war und im Sommer auch richtig, richtig warm. Die Natur war dort viel schöner.

Lilly: Verwandte von Papa leben noch in Kasachstan und auch Mama hat eine Freundin dort. Wir fahren selbst aber nie dorthin, weil es einfach zu weit weg ist. Irgendwann wollen wir aber einmal hinfahren, wenn mein Bruder und ich älter sind. Meine Eltern telefonieren und schreiben mit den Verwandten und Freunden.


Herzlichen Dank an Charlie Harms aus Jahrgang 12 für die Illustrationen.

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